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Klimaschutz durch Transparenz

Ein Interview mit Thomas Ahlborn und Norman Merten

Europa will bis zum Jahr 2050 klimaneutral sein. Die Ziellinie setzt die EU mit einer ehrgeizigen Klimagesetzgebung. Für den Gebäudesektor nehmen wir diese Herausforderung an.

Um diesen Marathon erfolgreich zu meistern, sollen technische Lösungen der beyonnex einen entscheidende Beitrag leisten. Welche Kräfte diese Technologien entfalten können, welche Rolle der Faktor Mensch dabei spielt – und wie die EU dafür den regulatorischen Rahmen gesetzt hat, erläutern Thomas Ahlborn und Norman Merten.

Zwei Männer stehen lächelnd nebeneinander in einem modernen Büroflur, einer trägt ein blaues Hemd, der andere ein weißes T-Shirt.
Thomas Ahlborn, Head of Corporate Marketing (noventic) und Norman Merten, Product Lead (beyonnex)
Mann arbeitet an einem Laptop, im Hintergrund ist ein Heizkörper mit einem smarten Thermostat zu sehen.

Die Wohnungswirtschaft steht vor großen Herausforderungen, um die ambitionierten europäischen und nationalen Klimaziele zu erreichen. Wie soll die Verbrauchstransparenz dabei helfen?

Merten: Neben der Verbrauchssteuerung über smarte Thermostate können wir so auch die Lenkungswirkung der Kosten nutzen. Studien haben gezeigt, dass sich Menschen, wenn sie am Ende des Jahres für ihren eigenen Verbrauch gerade stehen müssen, sparsamer verhalten. Deshalb gibt es in Deutschland schon seit den 1980ern die Heizkostenverordnung für Mehrfamilienhäuser. Damals, unter dem Eindruck der Energiekrise der 70er Jahre, mit dem Ziel, Energie zu sparen. Mit der Einführung der UVIUnterjährige Verbrauchsinformation verfolgt der Gesetzgeber ähnliche Ziele. Die UVI liefert Mieterinnen und Mietern Zwischenstände von ihrem Energieverbrauch. So können sie ihren Verbrauch regelmäßig überwachen und anpassen. Das schafft ein höheres Bewusstsein über den eigenen Verbrauch und motiviert zu einem nachhaltigeren Verhalten. Das führt letztendlich zur Reduzierung des CO₂-Ausstoßes und der Energiekosten.

Ahlborn: Wenn wir aus unserer Corporate-Perspektive auf dieses Thema schauen: Die Unternehmen der noventic group – und damit ganz zentral auch die beyonnex – sind tief in der Immobilienwirtschaft verwurzelt. Wir kennen die Herausforderungen und Notwendigkeiten, die mit einem professionellen Liegenschaftsmanagement einhergehen. Unsere Effizienz-Lösungen fokussieren sich daher neben der Verbrauchssteuerung auch maßgeblich auf die Schaffung von Verbrauchstransparenz. Wenn wir aus der Vogelperspektive auf den wohnungswirtschaftlichen Klimaschutz schauen, ergänzen wir den mit seinem traditionellen Fokus auf Bauphysik – also dem Dämmen – und Energietechnik um den Faktor Mensch. Nur über die Einbindung der Menschen können wir dem sogenannten Rebound-Effekt entgegenwirken. Dass die Mieterinnen und Mieter diesen Hebel erkannt haben und dazu bereit sind, hat eine Studiehttps://noventic.com/magazin/mieter-studie von Prof. Dr. Andreas Pfnür der TU Darmstadt klar gezeigt.

Was genau sind die Kernaussagen dieser Studie im Zusammenhang mit Verbrauchstransparenz und Verbrauchsverhalten?

Ahlborn: Zwei Punkte daraus sind besonders interessant. Zum einen zeigen die Zahlen, dass Mieterhaushalte intelligente Systeme zur aktiven Verbrauchssteuerung fordern – vor allem mit dem Ziel, die eigenen Energiekosten zu senken. Mieterinnen und Mieter erkennen, dass sie im Klimaschutz eine zentrale Rolle spielen und Wohnungsunternehmen allein den Klimaschutz im Gebäudesektor nicht umsetzen können. Zweitens können wir die Kernthese formulieren, dass die Mehrheit der Haushalte deutlich aussagekräftigere und zeitnähere Verbrauchsinformationen fordert – also erkannt haben, dass ein viel und wenig Heizen im Alltag ohne die Übersetzung in Zahlen nur schwer zu erfassen ist. Hier ist der Wille zur Mitwirkung vorhanden.

Merten: Um noch einen weiteren Aspekt zu ergänzen: Interessant ist aus meiner Sicht auch, dass zwei Drittel der Befragten sogar die Steuerung ihrer Heizung der Technik überlassen würden. Unter der Voraussetzung, dass dadurch Kosten eingespart werden können sowie der gewünschte Wohnkomfort gewährleistet ist. Und, dass die Technik einfach zu bedienen ist. Für uns als beyonnex eine sehr spannende Aussage.

Wir haben über Verbrauchstransparenz gesprochen und über die gesetzliche Verpflichtung, den Haushalten in Mehrfamilienhäusern die unterjährige Verbrauchsinformation die UVI zur Verfügung zu stellen. Wie sieht der Lösungsansatz von beyonnex dazu aus?

Merten: Wir haben Teams für Plattformtechnologie, Funkinfrastruktur sowie Datenmanagement. Und wir haben Teams, die sich auf die Entwicklung von Lösungen rund um die Verknüpfung von Mensch und Technik fokussieren. Eine leichte, stabile UX ist für den Erfolg unserer Lösungen elementar. Denn wir sprechen hier über den Querschnitt der Bevölkerung, nicht über digital affine Smart-Home-Fans.

Sobald die User auf unserer App sind, warten die nächsten gewaltigen Herausforderungen auf uns. Zwei Beispiele. Erstens: Menschen folgen im Alltag Routinen und Traditionen – auch beim Heizen. Aber genau diese wollen wir ändern im Sinne von mehr Effizienz – das geht nur Schritt für Schritt. Dafür müssen wir, zweitens, die Wohnraumerwärmung messen und ihr, in allen Dimensionen, eine für alle greifbare, verständliche Form geben. Die Werkzeuge dafür sind die Elemente Verbrauchs- und Kosteninformation, Feedback und Vergleich sowie Gamification-Techniken.

Wie sehen die Erfahrungen mit Mieter-Apps aus?

Merten: Mieter-Apps haben aus den genannten Gründen einen schweren Stand. Eine Umfrage zur Nutzung von Mieter-Apps von ‚Analyse & Konzepte immo.consult GmbH‘ hat das wieder einmal klar bestätigt: Nur jeder zehnte Mieter nutzt eine Mieter-App. Da performen wir mit unserer Quote überdurchschnittlich [lacht]. Aber, trotz allem, selbst wenn jeder zweite unsere App nutzt, ist da immer noch viel Luft nach oben.

Ahlborn: Wir stehen hier vor einer sehr spezifischen Herausforderung: Die Menschen, die unsere Lösungen nutzen sollen, haben zum Großteil nicht danach gefragt. Nehmen wir ein anderes unserer Produkte als Beispiel, das der smarten Thermostate für Mehrparteienhäuser. Ein Wohnungsunternehmen verbaut diese gebäudeweit, beispielsweise aufgrund des adaptiven hydraulischen Abgleichs. Die Haushalte im Gebäude können diese Thermostate daher natürlich auch ohne App nutzen – und nur von den im Hintergrund laufenden Assistenzfunktionen profitieren wie vom Spurhalteassistent im Auto. Neben dem hydraulischen Abgleich könnte das beispielsweise eine digitale Fenster-offen-Erkennung sein. Um die Effizienz- und Komfort-Funktionen jedoch umfänglich zu nutzen, muss der Haushalt die App bxHome aktivieren und nutzen.

Aus Sicht der Produktentwicklung stehen wir hier also vor einer vollkommen anderen Aufgabenstellung als bei einer Smart-Home-Produktentwicklung: Ein Smart-Home-Begeisterter stattet sein Einfamilienhaus aus und überzeugt alle Familienmitglieder intrinsisch begeistert [lacht] ... hier, im vermieteten Mehrparteienhaus, fehlen uns die Smart-Home-Begeisterten meist, das Produkt wird in digital-fernen Haushalten verbaut. Diese Grundvoraussetzungen sind im Mehrparteienhaus immer gleich. Ob nun bei den smarten Thermostaten oder bei Lösungen zur Verbrauchsinformation.

Die Energieeffizienzrichtlinie (EED) und ihre Umsetzung in nationales Recht am Beispiel Deutschland

Die Energieeffizienzrichtlinie (EED) der Europäischen Union verfolgt das Ziel, die Energieeffizienz innerhalb der EU zu steigern und damit die CO₂-Emissionen zu reduzieren, den Klimaschutz voranzutreiben und die Energieabhängigkeit zu verringern. Die EED setzt ambitionierte Ziele, darunter eine Reduktion des Primärenergieverbrauchs um 32,5 % bis 2030 im Vergleich zu den Prognosen aus dem Jahr 2007.

In Deutschland wurden diese Ziele durch verschiedene gesetzliche Maßnahmen in nationales Recht umgesetzt. Zwei zentrale Regelwerke sind das Gebäudeenergiegesetz (GEG) und die Heizkostenverordnung (HKVO).

Gebäudeenergiegesetz (GEG)

Das GEG fasst die bisherigen Regelungen der Energieeinsparverordnung (EnEV), des Energieeinsparungsgesetzes (EnEG) und des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes (EEWärmeG) zusammen. Es legt energetische Anforderungen an Neubauten und Bestandsgebäude fest, fördert den Einsatz erneuerbarer Energien und schreibt Energieeffizienzstandards für Heizung, Kühlung, Lüftung und Warmwasserbereitung vor. Damit soll der Energieverbrauch im Gebäudesektor gesenkt und die Klimaziele erreicht werden.

Heizkostenverordnung (HKVO)

Seit dem 1. Januar 2022 ist die unterjährige Verbrauchsinformation (UVI) durch die HKVO gesetzlich vorgeschrieben. Die UVI verlangt eine regelmäßige und transparente Erfassung und Mitteilung des Energieverbrauchs für Heizungswärme und Warmwasser an die Mieterinnen und Mieter. Diese Maßnahme soll das Bewusstsein für den individuellen Energieverbrauch stärken und Einsparpotenziale aufzeigen, um so den CO₂-Ausstoß zu verringern und die Energiekosten zu senken.