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Themenbeitrag

Zeit für digitale Souveränität

Deutschland und die EU sollten an einer einheitlichen Digitalisierungsstrategie arbeiten. Hierzu geht aktuell ein Apell, der längst hätte laut werden sollen, durch die Öffentlichkeit. Formuliert ist der Aufruf in Briefform – von Angela Merkel, Mette Frederiksen, Sanna Marin und Kaja Kallas adressiert an Ursula von der Leyen, unsere EU-Kommissionschefin. Die vier Regierungschefinnen fordern von der EU, digitale Souveränität anzustreben.

Die Forderungen kommen zum richtigen Zeitpunkt. Wo diese Apelle lange wenig Beachtung fanden, gewinnen sie in der momentanen Situation deutlich an Strahlkraft. Die Corona-Krise macht die Abhängigkeit der EU zu anderen Kontinenten deutlich, sei es in der Entwicklung als auch in der Nutzung digitaler Tools. Für Videokonferenzen beispielsweise muss immer wieder auf amerikanische Anbieter zurückgegriffen werden. Nationale als auch europäische Defizite kristallisieren sich heraus. Die geforderte Digital Decade, ausgerufen von Ursula von der Leyen, soll diese Rückstände ausgleichen. Merkel und die Regierungschefinnen fordern dafür einen „Aktionsplan für mehr digitale Souveränität“, ein Katalog mit strategischen Maßnahmen. Das Ziel ist europäische Eigenständigkeit und die in den letzten Jahren entstandene technische Abhängigkeit endlich zu überwinden.

Der vergangene Innovationsgeist
Das eine Abhängigkeit besteht, erkennt man unter anderem daran, dass die neusten Tech-Innovationen zum größten Teil außerhalb Europas entstehen. Dabei wundert man sich: Ist Deutschland nicht das Land der Innovatoren, der wissenschaftlichen Entdeckungen und technischen Erfindungen? Das Auto, der Dynamo, selbst der Vorläufer des modernen Computers haben hier ihren Urspung. Zudem war und ist Deutschland ein Land mit einer der weltweit besten Infrastrukturen (Industrie, Automobil, Elektrizität, Gas, Wasser, Ver- und Entsorgung). Doch die digitale Infrastruktur lässt auf sich warten. Das zeigt sich beispielsweise deutlich am langsamen Ausbau von schnellen Datenleitungen – Stichwort 5G und Glasfaser. Wir haben bereits bewiesen, dass wir Innovationsführer sein können. Warum dann nicht auch in der Digitalisierung?

Ansätze von internationalen Mitstreitern
Früher waren wir Erfinder und Innovatoren, heute nehmen wir im digitalen Bereich die Rolle des Konsumenten ein. Wir sehen uns nicht mehr als Macher, eher als Abnehmer, digitaler Neuheiten.
Das Selbstbild des Konsumenten ist einem internationalen Vergleich des digitalen Schaffens geschuldet. In den USA, speziell im Silicon Valley, wurde umfangreich in die Digitalisierung investiert. Dieser großzügige finanzielle Rahmen bot eine solide Grundlage für das Experimentieren und Forschen, die Voraussetzung aller Innovationen. Die USA will ein digitaler Macher sein und somit wird stetig an einem Ökosystem der Zukunft gearbeitet. Doch nicht nur im Westen ist vieles in Bewegung. Auch im Osten ist eine enorme Entwicklung zu beobachten. China, vor 10 Jahren noch Technologie-Konsument, entwickelte sich zu einem der größten Innovations-Machern. Zu verdanken hat China das der langfristigen Digitalisierungsstrategie im Rahmen der Planwirtschaft. Die staatlich vorgegebene Vision wurde durch politische Steuerung erfolgreich umgesetzt: China hat im heutigen Weltmarkt ein starkes digitales Profil.

Das Beste beider Welten – auf europäischer Wertbasis
Mit den richtigen Maßnahmen muss verlorene Zeit aufgeholt werden. Wir sollten uns die Investitionskultur der Amerikaner zum Vorbild nehmen. Zudem sollte die Regierung dringend Bereiche wie das Gesundheitssystem, Schulen und Bildung allgemein, Infrastruktur und Verwaltung digital transferieren. Mit diesen digitalen Strukturen werden die entsprechenden Rahmenbedingungen für die Unternehmen geschaffen. Ein digitales Ökosystem sorgt dafür, dass die Unternehmen die volle Wirkung ihrer digitalen Innovationen entfalten können.

Doch auch wenn man sich von den positiven Ansätzen der amerikanischen und chinesischen Digitalkultur inspirieren lassen kann, so sollte man mit Vorsicht auf deren Einstellung beim Thema Datenschutz schauen. Die EU braucht auch hierzu eine eigenständige und einheitliche Strategie.
Für uns ist Cybersicherheit ein fundamentales Thema. Bei den Amerikanern werden Daten – auch personenbezogene – zur maximalen wirtschaftlichen Wertschöpfung eingesetzt. Bei den Chinesen wiederrum dienen Daten auch der Kontrolle und Steuerung der Bevölkerung. Hier ist Vorsicht geboten. Wollen wir europäische Datensouveränität, so sollte dies auch auf Basis europäischer, freiheitlicher Werte geschehen. Europa ist verantwortlich für einen sicheren und adäquaten Umgang mit den Daten der Menschen. Wir müssen die Hoheit über digitale Produkte zurückgewinnen. Wer das System programmiert, bestimmt die Spielregeln. Nur so haben wir die Chance in der Erstellung der Systeme unsere europäischen Werte zu berücksichtigen!

Wenn wir dieser Werte auch digital leben wollen, müssen wir vom digitalen Konsumenten zum Macher werden.